BRIEF AN EINEN FREUND

INHALTSVERZEICHNIS

Brief an einen Freund
oder
Fr(l)ust zu Bauen.

Lieber F.,

Vielen Dank für Deinen Brief.

Ich freue mich, dass es Dir und Deinen Lieben gut geht und Ihr Euch in dem neuen Haus wohl fühlt, obwohl doch einiges nicht so gelaufen ist, wie lhr es Euch vorgestellt habt.

lch muss auch sagen, dass mir im Ganzen gesehen das Bauen mit und für Euch viel Spaß gemacht hat.

lch finde es zurückschauend betrachtet ganz spannend und nachdenkenswert, dass an einigen Problemen mit dem Bau unsere Freundschaft fast gescheitert wäre, und nur Dein sehr weiser Anwalt, eine seltene Erscheinung innerhalb dieser Zunft, die Dinge zwischen uns gerade gerückt hat.

Ich bin Dir sehr dankbar, dass Du mich einigen Deiner Bekannten empfohlen hast, bitte Dich aber um Verständnis für meine Entscheidung, ihnen eine Absage erteilen zu müssen.

Die Dir schuldige Erklärung für dieses Nein kann ich mit meinem Bedürfnis verknüpfen, den Frust loszuwerden, der mich in letzter Zeit heimsucht, wenn ich die Bilanz meiner Arbeit und Bemühungen ziehe, soweit es das Bauen von Wohnsiedlungen oder Einfamilienhäusern betrifft.

Ich gebe zu, dass dieser Frust sehr aktuelle Ursachen hat. Wir stehen kurz vor der Fertigstellung der kleinen Siedlung Hover Weg" in Wetter, die ich Dir ja vor einem Jahr im Rohbaustadium gezeigt habe und mit der wir uns, u. a. auch wegen der sehr sensiblen Lage, große Mühe gegeben haben.

Meiner Meinung nach hat sich die Mühe gelohnt. Das beiliegende Foto der Gesamtanlage gibt Dir einen kleinen Eindruck.

Ich habe auch schon von dem einen oder anderen gehört, dass man das Gefühl hat, in einem kleinen Dorf zu wohnen und sich sehr wohlfühlt. Aber das sind die Ausnahmen.

Für die meisten Bauherren sind wir der Gegner. Wir verschleudern ihr Geld, hindern sie daran, ihr" Haus so zu gestalten, wie sie es sich erträumt haben, sind zu den Handwerkern viel zu freundlich und zu tolerant, wollen uns sowieso nur auf ihre Kosten ein Denkmal setzen und bekommen eigentlich viel zu viel Geld für unsere Arbeit.

Bei Gelegenheit zeige ich Dir einmal die Korrespondenz zu diesen und anderen Themen.

Du kennst meine Einstellung, dass die Wohnung in erster Linie ein Grundbedürfnis ist und kein Objekt der Selbstdarstellung. Dabei ist der Begriff Selbstdarstellung nicht mit dem der Selbstverwirklichung zu verwechseln. Erstere schränkt ein, letztere schafft Freiräume.

Folglich, und das haben wir ja gemeinsam erlebt, basiert das Entwerfen und Bauen einer Wohnung auf elementaren Anforderungen an die Wohnung, wie z. B. warm und trocken wohnen, Belichtung und Belüftung, persönliche Raum- bzw. Platzansprüche der Familienmitglieder, Rückzugsmöglichkeiten bzw. Privatheit (wozu auch Probleme des Schallschutzes gehören, Anpassungsfähigkeit an sich ändernde Familienverhältnisse, natürlich auch auf ästhetische und nicht zuletzt ökonomischen Aspekten.

Was aber geschieht Landauf-Landab, von der Nordsee bis hin zu den Alpen?

Projekte, bei denen diese Bedürfnisse im Vordergrund stehen, sind die Ausnahme. Die Eitelkeit triumphiert, die Geschmacklosigkeiten versprechen beste Geschäfte und füllen die Seiten der Sparkassen-Postillen. Baumärkte erfüllen jeden Wunsch nach Kitsch as kitsch can, Kinderzimmer und die Kammern für Opa oder Oma werden immer kleiner und die Badezimmer und Fernsehschirme immer größer. Der Krieg mit dem Nachbarn um das "schönste" Haustür-Vordach oder die auffälligste und ausgefallenste "Biffar-Haustür" ist auch durch größte diplomatische Anstrengung nicht zu beenden.

Die Bauträger, deren Verantwortungsgefühl sich in der Regel auf die Bilanz beschränkt, beteiligen sich munter an dem Gesellschaftsspiel und gebären zum Teil die absurdesten Produkte optischer Umweltverschmutzung. Weiße Schafe kann man hier an den Fingern zweier Hände abzählen.

Wo es den natürlich billig eingekauften oder unterbezahlten Planern an substantieller Phantasie fehlt und die Grundsubstanz des Hauses gerade den Mindestanforderungen an Bauvorschriften und DIN-Normen entsprechen darf, damit unterm Strich der Profit stimmt, gegen den ich im Grunde gar nichts einzuwenden habe, da müssen luxusvortäuschende Billig-Versatzstücke aus dem Bauhaus oder aus der Trickkiste der Planer die hohen Preise rechtfertigen helfen. Bogenfenster, Erker, eingelegte Sprossen, wahre Briefkasten- und Haustürorgien, absurdeste Dachformen gaukeln Individualität vor.

Dass dadurch im Inneren der Häuser die Wohnkultur vor dem Fernseher und bei der Flasche Bier im Kühlschrank landet; dass im Äußeren städtebauliche Qualitäten den Bach hinuntergehen, weil nicht das geringste Verantwortungsgefühl für das Wohnumfeld existiert, das interessiert keinen, weil keiner danach fragt oder gefragt wird.

Dabei gibt es Beispiele, vor allem aus Zeiten wirtschaftlicher Not, ich denke nur an Bauten von Bruno Taut, Schmitthenner, Ernst May oder Tessenow, die heute noch, trotz oder auch wegen der Beschränkungen unter denen sie entworfen und gebaut worden sind, hohe Wohn- und Städtebau-Qualität haben.

Dann frage ich mich auch, warum die gleichen Leute, die so entwerfen, bauen und wohnen, ihre Urlaube am liebsten in einer Umgebung verbringen, wo die Einfachheit und die Beschränkung aufs Wesentliche Traditions- und Qualitätsbestandteil sind.

Dort nehmen sie einen tropfenden Wasserhahn, eine nicht funktionierende Dusche, einen kleinen Riss in der Wand oder eine wackelnde Türklinke gelassen hin. Der krumme Wandputz, einfach gekälkt, das Fenster, das klemmt und auch nicht ganz dicht ist, gehören zum Lustgewinn durch Urlaub.

Ich frage Dich, werden da nicht im Unterbewusstsein doch Zweifel geweckt? Man merkt davon nichts. Kaum sind diese Leute wieder zuhause, fällt jeder Fehler sofort auf und die Telefonnummer des Fachanwalts für Baufragen steht in jedem zweiten Privat-Telefonbuch.

Der Begriff Wertminderung ist heute am Bau manchmal häufiger zu hören als das Wort Wohnqualität. Meistens liegt das daran, dass das Geld knapp geworden oder ausgegangen ist, also nicht etwa ins Kino oder ins Theater: Nein, ins Bauhaus oder ins Küchenstudio, zu Möbel Stil oder Schreiner Edelholz. Es kann auch in der großen Polstergarnitur versunken oder im offenen Kamin zum Schornstein hinausgeflogen sein. Alles ist möglich.

Die Anwälte haben Hochkonjunktur und leben auch gut, denn deren Fehler werden auch bei verlorenem Prozess nicht erkennbar und bezahlt werden muss in der Regel cash und bei Verzug wird nicht lange gefackelt.

Architekt würde für alles verantwortlich gemacht, Du hast ja selbst mit dem Begriff der gesamtschuldnerischen Haftung zu tun gehabt, ich möchte nur ganz lapidar sagen:

Ich habe die Schnauze voll. Ich habe mich redlich bemüht, ich habe gekämpft und gestritten, versucht zu überzeugen oder mich überzeugen zu lassen. Ich habe Beschimpfungen und zugegebenermaßen Lob über mich ergehen lassen. Ich habe Freude und Genugtuung über ein gelungenes Projekt empfunden und war stolz, wenn mich der Bewohner gelobt hat.

Aber die Zeiten sind anders geworden. Die Anstrengungen müssen verdoppelt und verdreifacht werden, weil auch die Anforderungen, ökonomische und ökologische, sich vervielfacht haben. Anstatt einer Rückbesinnung aber auf das Wesentliche wird der Sinn dafür verdrängt durch die Sucht nach dem Nebensächlichem und das Lob und die Anerkennung, die ich einfach brauche, um den Stress zu kompensieren, bleiben aus.

Hinzu kommt, dass mir häufig die notwendige Unterstützung der Handwerker fehlt, vor allem, wenn ich auswärts und mit Firmen arbeiten muss, die ich nicht kenne, bzw. die mich nicht kennen.

Sicher, das ist nicht nur die Schuld dieser Leute. Sie selbst haben mit einer Flut von Produkten, Fabrikaten und Vorschriften zu kämpfen und die Risiken werden häufig nicht durch die notwendigen Gewinne ausgeglichen. Die Zahlungsmoral der Bauherrschaft ist häufig nicht sehr ausgeprägt und Selbstjustiz in Form von ungerechtfertigten Rückbehalten an der Tagesordnung.

Auch ein unerfreuliches Kapitel ist das über die Sachverständigen. Da gibt es die Berühmtheiten, die leben nicht vom Planen und Bauen, sondern die schöpfen Fachwissen und Erfahrungen aus Büchern. Die brauchen auch nicht sparen und den Pfennig dreimal umzudrehen. Aufwendige Apparate, Messinstrumente, Fehlersuchgeräte kommen zum Einsatz. Wie sagte schon Tucholsky: "Mit dem Aufwand an Getue kriegen Frauen Kinder. Die kommen in der Regel nur bei ganz großen Sachen, das muss sich schon lohnen und auch publizierbar sein. Das trägt dann auch noch zum risikolosem Broterwerb bei.

Daneben bemühen sich viele, weniger prominente "Experten", der Gerechtigkeit und der Bauqualität auf die Sprünge zu helfen. Die wenigsten davon haben selbst schon riskiert für andere zu bauen. Dazu sind Sie vermutlich zu gut informiert, und das Geschäft läuft ja auch so. Glaube nur ja nicht, dass jemals ein falsches Gutachten, das ja auch nur durch einen Gegengutachter, der ja noch klüger sein muß) widerlegt werden kann, eine Schadensersatzpflicht ausgelöst oder dieser Gutachter sein Geld nicht erhalten hätte. Dafür gibt es Vorschüsse und ohne diese Munition läuft gar nichts.

Im Vergleich, der bei Bauprozessen die Regel ist, werden alle Kosten auf die Parteien verteilt und gewinnen tut (auch in der Regel) keiner etwas. Nur aus dem Haus ist ein Streitobjekt geworden und nicht das, was man sich erträumt hat, nämlich ein "trautes Heim".

Noch ein paar Sätze zu den Behörden. (Über die Banken will ich den Mantel des Schweigens und der Barmherzigkeit legen. Die sind durch Herrn S. genug gebeutelt).

Du erinnerst Dich ja noch an Deine schmerzlichen Erfahrungen mit den "Sachbearbeitern". Du hast sicherlich auch in der Presse über die Bemühungen der Verantwortlichen gelesen, Genehmigungsverfahren zu vereinfachen, Vorschriften, Richtlinien und Gesetze von überflüssigem Balast zu befreien. Dadurch soll der Wohnungsbau erleichtert und auch kostengünstiger gestaltet werden.

Leider hat man auch hierbei die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Und Wirte gibt es viele.

Das beginnt bei den "unterbezahlten" Sachbearbeitern, die doch tatsächlich der Meinung sind, Zeit lasse sich nicht vereinfachen und die Tageszeitung sei eher umfangreicher geworden, da brächte der Fortfall von Vorschriften kaum Entlastung.

Und die Sachzwänge - Brandschutz, Schallschutz, Wärmeschutz, Baumschutz, Gewässerschutz, Landschaftsschutz, Nachbarschutz, Luftschutz, Arbeitsschutz, Privilegienschutz - die könne keiner, auch er nicht so einfach abhaken. Die Akte müsse ihren Lauf nehmen. Und die läuft dann nicht. Nein, die schleicht und macht Pausen, ruht sich aus.

Aber Spaß beiseite, das Geschilderte, muss ich der Wahrheit halber sagen, trifft hauptsächlich auf die Behörden der größeren Städte zu. Da kann sich auch der Sumpf der Korruption besser verbergen. In den kleineren Behörden habe ich von besseren Erfahrungen zu berichten. Da geschieht es schon, dass man sich mit allen am Genehmigungsverfahren Beteiligten an einen Tisch setzt und an einem Tag alles regelt.

lch hatte nur heute wieder eine erbittert geführte Auseinandersetzung mit dem Denkmalspfleger. Auf dem Gebiet driften die Auffassungen von Denkmalspflege so weit auseinander, dass man kaum auch nur ansatzweise allgemeine Regeln zugrunde legen kann.

Mich regt nur immer die kompromisslose, jede realistische Einschätzung negierende Haltung mancher Konservierer auf, die eher in Kauf nehmen, dass Objekte verfallen, als einer Symbiose von Erinnerungswerten und Heutigem zuzustimmen.

So, ich hoffe, dass Dich meine Ausführungen nicht gelangweilt haben. Sollten Dir einmal Leute über den Weg laufen, die wirklich nur wenig Geld, dafür aber Sinn für Wohnkultur, Verantwortungsbewusstsein gegenüber dem Gemeinsamen und Lust an der Mitarbeit haben, die kannst Du gerne zu mir schicken.

Herzliche Grüße an Deine Frau und Deine Kinder.

Dein D.